Dann kam Karin, und ich wusste gleich, als ich sie das erste Mal sah, dass sich unsere Wege auf schicksalhafte Weise mit einander verschlingen würden. Gleich, als sie das schmiedeeiserne Törchen unter dem Weißdornheckenbogen öffnete und unseren Garten betrat. Es war beinah wie ein Wiedererkennen. Majou würde sagen, wie eine neue Begegnung nach einem anderen Leben. Und mein Herz schlug tatsächlich etwas schneller dabei.

An der Hand hielt sie ein kleines Mädchen. Es war ihr wie aus dem Gesicht geschnitten, musste ihre Tochter sein. Ihnen folgte ein dunkelhaariger Mann, offensichtlich einige Jahre jünger als sie, mit auffallend großen und auf eine seltsame Art leeren Augen.
Ich telefonierte gerade mit einem der vielen Bewerber für die Mietwohnung und sah dabei aus dem geöffneten Fenster in den Garten hinaus.

Sie verweilten einen Moment dort und schauten sich im Vorgarten um, ehe der junge Mann das Tor hinter sich wieder schloss. Dann kamen sie über den geschwungenen, mit Natursteinen gepflasterten Weg weiter auf mich zu und hatten die Treppe erreicht.
Ich nahm den Hörer vom Ohr, bedeckte die Sprechmuschel mit der Hand und rief ihnen zu: "Kommen Sie nur herein! Unsere Tür ist nie verschlossen!"

Sie ging den anderen voran und öffnete die schwere Haustür. Schon in diesem Augenblick war mir das aktuelle Telefonat unnötig geworden. Nur noch zerstreut beantwortete ich die Fragen, denn - so eigenartig es klingen mag - mir war vom ersten Augenblick an klar, dass sie und niemand anderes bei uns wohnen würde. Nicht nur, weil sie eine hübsche junge Frau war, mit dunklen, mandelförmigen Augen, leicht gebräunter Haut und braunem, am Hinterkopf zusammengefasstem Haar. Vermutlich war es eher dieses déja-vu-Gefühl, dieses Vertraute an ihrem Gesicht.

Und wenn es schon kein anderes Leben war, aus dem wir uns kannten, vielleicht war sie mir in einem meiner Träume begegnet. In einem, den ich nicht bewusst erinnerte. Nicht so bewusst wie den, in dem mir Philipps Ankunft angekündigt wurde. Vielleicht einer dieser Träume, die ohne klares Erinnern am Morgen geblieben waren. Vielleicht hatte sich nur eines seiner Bilder besonders deutlich eingeprägt, und ich erkannte es wieder in diesem Moment.
Wie hätte ich damals auch ahnen sollen, dass dies der Anfang vom Ende war ...